Sie hegen und pflegen uns. Halten uns warm, wenn die Kälte nach uns greift. Sie fangen uns auf, damit wir nicht zerbrechen. Und verteidigen uns jahrelang vor dem Monster unter dem Bett. Und egal, wie doof wir sie in unseren Teenager-Jahren finden, tief in unseren Herzen werden wir sie immer lieben. Und wenn wir dann erwachsen sind, möchten wir etwas für die jahrelange Aufopferung zurückgeben.
Ich kann glücklicherweise diese Worte schreiben, und sie 100%ig so meinen. Denn ich hatte und habe noch immer großartige Eltern, die mich in allen Lebenslagen unterstützen. Umso mehr tut es mir momentan weh, wenn ich sie besuche und meine Mutter beobachte. Meine Mutter hat jahrelang mit Rheuma zu kämpfen gehabt und dagegen Resochin genommen. Vor einiger Zeit wurde festgestellt, dass sich Rückstände der Tabletten jahrelang hinter der Netzhaut abgelagert haben und somit die Sehkraft beeinträchtigt haben. Das ist erst vor kurzem merklich geworden.
Das ärgerliche daran ist, abgesehen von dem langsam Verlust der Sehkraft meiner Mutter, dass es bei den regelmäßigen Untersuchungen des Augenarztes (Hintergrundspiegelung) nie festgestellt wurde. Sonst hätte man mit der Absetzung des Medikaments vielleicht vor Jahren die drastischen Beeinträchtigungen verhindern können.
Die Tabletten nimmt sie jetzt schon eine Weile nicht mehr. Ein anderer Typus wird Stück für Stück niedriger dosiert, da die neue Rheumatologin nicht davon überzeugt ist, dass meine Mutter überhaupt unter Rheuma leidet. Aber das ist eine andere Geschichte.
Meine Mutter ist nicht erblindet. Aber die Sehkraft ist so eingeschränkt, dass sie teilweise zum Lesen sowohl Lesebrille als auch eine zusätzliche Lupe benötigt. Für jemanden, der jahrelang Handarbeit als Hobby betrieben hat, ist das wie ein Schlag ins Gesicht. Zudem war sie immer unabhängig. Ist mit dem Auto einkaufen gefahren. Doch mit der schlechten Sicht wird der wöchentliche Einkauf nicht nur zur Stresssituation, sondern auch zur Mutprobe. Seit dieser Woche hat sie das Autofahren komplett aufgegeben und ist jetzt ohne fremde Unterstützung auf dem Dorf gefangen, in dem sie mit meinem Vater wohnt, der sie auch auf allen Ebenen unterstützt, wo er nur kann.
Und auch wenn sie sich tapfer gibt, und darauf beharrt, dass es anderen deutlich schlechter geht als ihr, und dass sie sich weder beklagen noch in Selbstmitleid verfallen will, wünsche ich mir, sie würde sich, wenn auch nur einmal, schwach geben. Einfach den Frust rausschreien, über die Ungerechtigkeit ausweinen oder mir auf eine andere Weise die Chance geben, für sie in diesem Moment stark zu sein und sie aufzufangen, bevor sie zerbricht. Denn ich bin doch jetzt erwachsen, und ich kann doch jetzt für uns beide das Monster unter dem Bett besiegen...